Kapstadt (oder wirklich nur Kapstadt)
Nachdem ich Johannesburg besichtigt und einen kurzen Abstecher zum Blyde River Canyon und zum Krüger Nationalpark gemacht habe, beschließe ich einen Flug nach Kapstadt zu buchen, weil viele Leute mir erzählt haben, dass es zwischen den 2 Städten nicht viel zu sehen gibt.
Kapstadt
Nach einem kurzen Flug gespickt mit interessanten Gesprächen mit einer an Jetlag leidenden jüdischen Frau über die Wohltätigkeitsorganisationen die sie managed und einem indischen Computerverkäufer der durch die Welt jettet, komme ich mitten in der Nacht in Kapstadt an. Meine neue gejetlagte Freundin versucht mir einen ihrer Sekundär-Chauffeure zu organisieren, damit dieser mich vom Flughafen in die Stadt bringt, aber leider erreicht sie niemanden und ich muss ein Taxi nehmen. Um halb eins komme ich endlich an.
Da ich selber einen sehr leichten Schlaf habe und nichts mehr hasse, als Leute, die denken dass ein Schlafraum DER Spot für mitternächtliche Skype Sessions ist (oder andere, mit noch lauteren Geräuschen verbundene Aktivitäten), benutze ich alle meine Ninja-Fertigkeiten um mich so geräuschlos wie möglich für die Nacht fertig zu machen. Ungefähr 4 Stunden später muss ich leider feststellen, dass ich zu einer aussterbenden Gattung von Hostel-Reisenden gehöre.
Am nächsten Morgen, immernoch ein wenig verschlafen, beschließe ich eine Wanderung auf den Tafelberg zu machen. Simone von der Rezeption empfiehlt mir den „Skeleton Gorge“, einen Wanderweg der im Botanical Garden in Kirstenbosch beginnt. Da es hier technisch gesehen Winter ist, ziehe ich ein Flanellhemd an (was ich ungefähr eine Stunde später bereue) und bestelle einen Uber um mich zum Anfang des Wanderwegs fahren zu lassen. Simones Tip um einen Uber in Kapstadt zu bestellen: immer in bar bezahlen und das Fahrtziel erst über die App senden wenn Du bereits im Auto sitzt. Das minimiert die Chance, dass der Fahrer Dich irgendwo hinfährt wo Du garantiert nicht enden willst (es gibt viele solcher Plätze in Südafrika).
Am Anfang des Wanderweges steht ein Schild, das potentielle Wanderer vor den Gefahren des Skeleton Gorge warnt. Neben der allzeit präsenten Gefahr überfallen zu werden („Geh niemals alleine!“), wird zudem empfohlen, den Weg nur anzutreten wenn Du in guter physischer Verfassung bist. Da ich aus Deutschland komme, wo Du solche Warnhinweise grundsätzlich ignorieren als rechtlich vorgeschriebene aber nicht allzu akkurate Repräsentation potentieller Gefahren ansehen kannst, bin ich zuversichtlich und freue mich auf eine schöne und ruhige Wanderung.
Ungefähr 5 Minuten später wünsche ich mir, dass ich mein Flanellhemd zuhause gelassen und mich stattdessen für ein ärmelloses Shirt entschieden hätte. Mein wasserdichter Daypack klebt mir am Rücken (offensichtlich ermöglicht eine wasserdichte Plastiktüte keine Luftzirkulation) und ich bin froh, dass ich zumindest einem Ratschlag auf dem Warnschild gefolgt bin: nimm mindestens 2 Liter Wasser mit.
Der Weg schlängelt sich an gefährlich steilen Klippen und durch einen wunderschönen Wald den Berg hinauf, und einmal muss ich sogar einen kleinen Wasserfall hochklettern. Ich kriege eine WhatsApp Nachricht von meiner Mutter, die mich fragt was ich mitten im Wald neben dem Tafelberg mache. Offensichtlich hat sie nachgeguckt, wo ich gerade bin und sich ein wenig Sorgen gemacht. Insgesamt klettere ich ungefähr 930 Meter den Tafelberg hoch, aber ich werde mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt. Für den Abstieg entscheide ich mich mit der Seilbahn zu fahren, das Hochklettern hat mir heute gereicht als Sport.
District 6
Nach den vorangegangen anstrengenden Tagen schlafe ich am nächsten Tag erstmal aus. Ich beschließe die V&A Waterfront zu besuchen und am Nachmittag mache ich bei einer free walking Tour in District 6 mit. Der Name unseres Guides ist Rico, und er ist als Kind in District 6 aufgewachsen, wurde dann aber vertrieben nachdem die damalige Regierung District 6 zu einer „whites only area“ erklärt hat, weil das Gebiet angeblich für „den weißen Mann“ benötigt wurde. Er erzählt uns, wie die Häuser von tausenden von Menschen von der Regierung abgerissen wurden, was die Einwohner zwang aus der Stadt zu ziehen. Religiöse Gebäude, wie zum Beispiel Kirchen und Moscheen, wurden jedoch als „Zeichen der Toleranz“ nicht abgerissen.
Nachdem alle Häuser abgerissen und die Leute gegangen waren, lag das Gebiet einfach nur brach ohne das jemand es genutzt hätte. Die Tatsache, dass die Apartheid erst vor ca. 22 Jahren endete, als ich bereits geboren war, finde ich einfach unglaublich. Auch wenn die Apartheid offiziell vorbei ist, kann man, während man durch Südafrika reist, immernoch fühlen, dass sie immernoch in den Köpfen der Menschen ist, und es wird wahrscheinlich mehr als eine Generation dauern, bis die Auswirkungen dieser Zeit verschwunden sind. Im Gespräch mit Rico ist es für mich nicht schwer zu erkennen, dass dies eine Herzensangelegenheit für ihn ist, und er erzählt mir, dass er die Touren veranstaltet um den Leuten über diese schreckliche Zeit zu erzählen und ihnen bewusst zu machen, dass all das vor nicht all zu langer Zeit passiert ist.
Ich kehre zurück zum Hostel während viele Gedanken mir durch den Kopf schwirren. Wenn Du in Deutschland aufwächst und zur Schule gehst, wird Dir ständig vor Augen geführt wozu Rassismus führt und Du bist sehr sensibel für solche Themen. Da das alles in Deutschland jedoch lange vor meiner Generation stattfand, denkst Du irgendwie dass die Menschheit sich seitdem weiterentwickelt hätte (zumindest fühle ich mich so). Von jemanden zu hören, der die Apartheid selber mitbekommen hat und nur ein paar Jahre älter ist als Du, gibt Dir eine Menge zu denken.
Abends gehe ich mit meiner Freundin Anna aus um etwas zu essen. Während wir unser köstliches Essen genießen reden wir über die Impressionen, die wir während der Tour hatten. Als wir zum Hostel zurück laufen kommt ein kleiner Junge über die Straße gerannt und fängt an zu betteln. Ich falle sofort in mein Muster zurück bettelnde Menschen einfach zu ignorieren, weil es in der Stadt wo ich studiert habe viele davon gibt. Der Junge folgt uns noch für weiter 50 Meter bis er aufgibt.
Als ich mich ins Bett lege und darüber nachdenke was gerade passiert ist, wird mir schlecht. Ich bin nichtmehr in Deutschland, wo jeder Idiot, der auch nur halbwegs fähig ist seinen eigenen Namen zu schreiben, genug Geld vom Staat kriegt um nicht auf der Straße leben zu müssen (und versteh mich bitte nicht falsch: ich meine damit nicht die Flüchtlinge die nach Deutschland kommen, sondern die, die Angst haben, dass das Geld was für die Aufnahme von Flüchtlingen verwendet wird aus dem Geld kommt was sie bekommen – buchstäblich fürs Nichtstun).
Auch wenn 1997 ein Sozialsystem in Südafrika implementiert wurde leiden noch immer viele Leute unter Armut. Dieser kleine Junge hatte Hunger, und auch wenn ich nicht viel Geld habe, im Vergleich zu ihm bin ich reich. Ich kann mir was zu Essen kaufen wann immer ich will und schlafe in einem bequemen Bett mit einem Dach über dem Kopf. Oh man, ich reise gerade um die Welt, und nur weil ich das Glück hatte in einem Land geboren zu werden, in dem jeder Zugang zu Bildung hat. Dieser kleine Junge hat keines dieser Privilegien. Ich hätte ihm ohne Weiteres genug Geld geben können damit er sich ein Festmahl gönnen kann, aber ich hab es nicht gemacht. Dieser Gedanke hält mich lange wach.
Signal Hill
An meinem letzten Tag in Kapstadt beschließe ich, die Stadt noch ein wenig mehr zu erkunden. Rico hatte mir den Tipp gegeben Signal Hill zu besuchen, wo jeden Tag um Punkt 12 Uhr eine Kanone abgefeuert wird. Ich laufe die Longmarket Street hoch und verweile am Ende der Straße um die Aussicht auf die Waterfront zu genießen, die von Wolken umhüllt ist. Eine alte Frau jätet im Garten nebenan Unkraut. Wir fangen an zu reden, und sie erzählt mir, dass sie hier hingezogen ist, als niemand hier wohnen wollte. Jetzt ist das Viertel stark im Kommen, und viele Leute haben sie gefragt ob sie ihr Haus verkaufen will. Sie erzählt mir, dass sie das niemals tun würde, und während ich die wunderschöne Aussicht genieße verstehe ich nur zu gut warum.
Sie fragt mich, ob ich gekommen bin um das Abfeuern der Kanone zu sehen, und als ich das bestätige bittet sie mich, Dudley – der Mann der die Kanone abfeuert – auszurichten, dass das Wasserrohr in der Straße wieder undicht ist und dass er das an die zuständigen Leute in der Stadt weiterleiten soll. Ich finde Dudley auf dem Hügel als er gerade die Kanone vorbereitet. Er macht das seit 15 Jahren, jeden Tag. Er bereitet immer 2 Kanonen vor. Wenn die Hauptkanone versagt feuert er sofort die Sekundärkanone, aber laut seiner Aussage kommt das so gut wie nie vor. Ich suche nach einer schönen Stelle mit einem guten Ausblick ungefähr 30 Meter von der Kanone entfernt. Die Schockwelle der Kanone ist ein bisschen stärker als ich dachte. Ich frage mich wie Dudley mich nach 15 Jahren des täglichen Abfeuerns dieser Kanone noch hören kann.
Nach der Kanone hole ich meinen Mietwagen ab und setze meine Reise nach Durban fort. 2000 km liegen vor mir, die unter anderem die berühmte Garden Route umfassen – nach einigen Berichten im Internet einer der schönsten Road Trips in der ganzen Welt.
Ungefähr eine Woche nachdem der kleine Junge mich um Geld angebettelt hat, bin ich in Coffe Bay, einer wunderschönen kleinen Bucht mitten in der Wild Coast. Das Gebiet der Wild Coast wird vorwiegend von den Xhosa bewohnt, eines der indogenen Völker Südafrikas. Ich komme im Coffee Shack Hostel unter, das sich sehr in die Gemeinde einbringt, indem es unter anderem Arbeitsmöglichkeiten schafft und Bildung fördert. Auf den Flyern, die im Hostel ausliegen, ist die Vision von Coffe Schack erklärt und wie Touristen sich verhalten sollen um sie zu unterstützen. Der für mich wohl einprägsamste Punkt dieser Liste ist, dass man kein Geld an bettelnde Kinder geben soll, da dies eine Bettelkultur entstehen lässt und verhindert, dass die Kinder eine vernünftige Ausbildung kriegen. Bildung ist wirklich das Wichtigste für alle Länder, die darum kämpfen mitzuhalten. Ohne Bildung werden andere Länder immer einen Weg finden sie auszunutzen.