Hello World, Goodbye Aachen (oder wie man 900 km auf einer 30 Jahre alten Simson S51 reist)
Masterarbeit abgegeben, Vortrag gehalten, Sachen gepackt, Freunde getroffen, Wohnung aufgelöst und zum Abschluss noch eine Fritte bei Kathys gegessen. Nach knapp 8 Jahren Aachen reicht es. Ich muss raus.
Lange habe ich überlegt ob ich mein Schätzchen verkaufen soll um meine Reisekasse noch ein wenig aufzubessern. Die viele Arbeit die inzwischen drin steckt, die Tatsache, dass ich niemals das zurück kriegen würde was ich mal reingesteckt habe, und die Aussicht auf ein günstiges und zuverlässiges Transportmittel für die Zeit nach meiner Reise bewegten mich dann doch dazu sie zu behalten. Da ich meine Simson S51 – Baujahr 1986 – nicht einfach in Aachen an der Straße stehen lassen kann, beschloss ich sie in meine Heimat zu überführen und bei meiner Mum in den Keller zu stellen. Eine größere Mopedtour wollte ich eh schon länger mal machen. In diesem Beitrag erzähle ich euch, wie man mit 50 ccm³, 4 PS und einer gehörigen Portion Geduld knapp 900 km fahren kann.
Tag 1: Aachen – Luxemburg
Samstags morgens geht die Reise los. Jungfräuliche 970 km ist der Motor gelaufen seit ich ihn letztes Jahr komplett zerlegt und restauriert habe. Ein Ölwechsel am Vortag und ein gereinigter Vergaser gehören zu den letzten Wartungsintervallen, die ich vor der Reise vornehme. Auch wenn sie in letzter Zeit ohne größere Zicken ihren Dienst verrichtet hat, habe ich doch ein mulmiges Gefühl wenn ich an die nächsten Tage denke. Egal, ich habe eine ADAC Mitgliedschaft, jede Menge Werkzeug im Rucksack, viel Zeit und Lust auf ein Abenteuer.
Viertel nach 10 fahre ich in Aachen los. Knapp 200 km stehen mir bevor. Den Wetterbericht habe ich mir aus Angst vor dem was ich sehen könnte garnicht erst angeguckt. Ein sehr komisches Gefühl auf so einem kleinen Moped die Stadt zu verlassen in der man die letzten 8 Jahre gelebt hat. Ich bin noch nichtmal aus Aachen raus, da fällt mir schon auf , dass die rein akustische Navigation über Kopfhörer ohne visuelle Unterstützung relativ lustig werden könnte.
Keine halbe Stunde später kommen die ersten Tropfen. Kein Problem: ich fahre rechts ran, ziehe meine Regenhose an und spiele noch kurz ein bisschen an den Vergasereinstellungen. In der Überzeugung, dass meine Lederjacke den Regen abhält fahre ich weiter. Ein großer Fehler.
Meine Strecke führt mich durch die Eifel. Es ist neblig und nass, was zwar den Fahrkomfort etwas mindert, jedoch keinesfalls den Fahrspaß. Dunkle, neblige Wälder erstrecken sich soweit das Auge reicht. Einfach einzigartig. Irgendwann wird es mir dann doch etwas zu kalt und zu nass. Ich beschließe meine Regenjacke und einen Pulli anzuziehen. Zuflucht finde ich in einer Bushaltestelle mitten in einem kleinen Dörfchen. Inzwischen ist mein Rucksack schon durchnässt, in meinen Schuhen steht das Wasser und sogar mein T-Shirt ist stellenweise schon fleckig.
Komplett eingepackt fahre ich weiter. Irgendwann wird die gute Fee, die mir vorher (wenn auch nur halbwegs zuverlässig) den Weg ansagte, verhältnismäßig stumm. Zuerst denke ich mir nichts dabei, dann fällt mir auf, dass die Straßenkarte für Rheinlandpfalz wohl nicht geladen wurden. Tolle Wurst. Ab da fahre ich nach Gefühl, einfach immer Richtung Trier und dann Richtung Luxemburg.
Kurz vor der Grenze gebe ich in Google Maps die Adresse von meinem Cousin ein. Jetzt bloß nicht verfahren, Route neu berechnen ohne Datenverbindung am Handy ist nicht. Keine 16 km vor dem Ziel wird der Regen so stark, dass ich durch mein Visier nichts mehr sehen kann. Ich fahre rechts ran und warte eine halbe Stunde an einer Tankstelle. Ich komme mit anderen “Gestrandeten” ins Gespräch, alle sind fasziniert von meinem Moped und bestätigen mir ich wäre verrückt mit so einer kleinen Kiste knapp 900 km zu fahren.
Als der Regen ein wenig nachlässt fahre ich weiter. Und dann: Straßensperrung! Die gute Fee von Google Maps lässt mich im Stich. Ich erinnere mich an den Ort, den mir mein Cousin genannt hatte, erhasche den passenden Schriftzug auf einem Schild und navigiere wieder frei Schnauze. Nach knapp 5 Stunden Fahrt komme ich komplett durchgenässt an. Die heiße Dusche tut gut.
Abends gehen wir schön essen und fahren danach einmal durch Luxemburg (die Stadt, nicht das Land, wobei das auch nicht so viel größer ist). Schön zu sehen, dass Steuergelder gut angelegt werden.
Tag 2: Luxemburg – Frankfurt
Nach einem eigens von meinem Cousin in seiner abgefahrenen Küche zubereitetem Frühstück mache ich mich auf die längste Etappe meiner Tour: von Luxemburg bis nach Frankfurt, um dort meinen Onkel und den neuen Familienzuwachs besuchen zu gehen. Knapp 260 km liegen vor mir. Immerhin spielt das Wetter heute mit.
Luxemburg ist ein riesiger Wald. Da meine Kleine nicht auf die Autobahn darf, fahre ich die kleinen Dörfer im Süden ab um wieder nach Deutschland zu kommen. Hinter einem Dorf sehe ich einen Luxemburger seinen Hund “Gassi fahren”: der Hund rennt übers Feld während Herrchen bequem mit seinem Landrover Discovery mitten übers Feld hinterher fährt. Endlich verwendet jemand so ein Auto mal angemessen.
Ich komme gut voran, und schreibe meinem Onkel, dass ich wohl vor 18 Uhr schon da sein werde, wenn es so weiter geht. Wieder fahre ich schöne Strecken über Landstraßen und durch Wälder. Die Gegend um den Hunsrück fordert meine kleine Maschine etwas, aber jede zähe Fahrt bergauf wird anschließend mit einer spaßigen Fahrt bergab belohnt. Am Vortag war ich auf Grund des Regens noch etwas ängstlich, aber heute gucke ich mal was die Kleine kann: 80 km/h bergab sind kein Problem. Sehr schön!
Langsam kriege ich das Gefühl, dass ich wohl mal ein wenig tanken sollte, aber kilometerweit ist keine Tankstelle in Sicht. Nach weiteren 20 km fahre ich rechts ran und hole meinen Notfall-Kanister heraus. Keine 2 km später kommt die nächste Tankstelle. Ich tanke voll und fülle auch meinen Notfall-Kanister wieder auf, gönne mir 2 Cheeseburger bei MC Donalds und unterquere die A61. Ab hier wird alles anders.
Die akustische Navigation macht mich langsam wahnsinnig. In Stadtgebieten stehe ich oft vor einer Kreuzung und die gute Fee sagt mir “Bitte biegen Sie jetzt links ab!”. Welche der 3 Linksabbiege-Möglichkeiten sie meint verrät sie mir jedoch nicht. So kämpfe ich mich durch die Städte, und meine Durchschnittsgeschwindigkeit sinkt genau so schnell wie meine Lust.
Gegen halb 7 komme ich endlich an. Mein Hintern tut weh, im Nacken habe ich Sonnenbrand und ich bin einfach froh nicht mehr fahren zu müssen. Meine kleine Cousine und meinen kleinen Cousin kennen zu lernen freut mich sehr. Fränkischer “Ebbelwei” ist übrigens auch sehr zu empfehlen.
Tag 3: Frankfurt – Bruchsal – Stuttgart
Am dritten Tag meiner Tour plane ich morgens noch einen kleinen Umweg ein. Ein Freund, den ich letztes Jahr auf dem Camino de Santiago kennengelernt hatte, wohnt zufällig mehr oder weniger auf dem Weg. Aber wenn man eh schon in in der Nähe ist..
Heute macht der Motor ein paar Probleme. Ein paar Mal stehe ich an der Ampel und die Drehzahl bleibt im Keller. Erst nach einer Minute nimmt er wieder Vollgas an, und ich kann weiter fahren.
In Heidelberg und Darmstadt stehe ich vor dem gleichen Problem wie auch am Tag zuvor in Mainz: die gute Fee treibt mich in den Wahnsinn. Irgendwann schaffe ich es doch noch nach Bruchsal. Julian und ich gehen was trinken und reden über Pläne für die nächste Zeit. Auch er wird wieder reisen, und falls es passt werden wir uns am anderen Ende der Welt auch wieder treffen.
Die anschließende Strecke von Bruchsal nach Stuttgart ist zwar nicht so schön, besteht aber lediglich aus einer einzigen, durchgehenden Landstraße. Gefühlt geht es konstant bergab, und die Mopete rennt und rennt, wobei sie langsam anfängt ein wenig zu rasseln. Genervt fahre ich weiter, da kümmere ich mich wenn dann erst morgen drum.
Am Abend komme ich dann endlich bei meiner Schwester an. Wir grillen mit ihrem Freund, und legen uns danach noch entspannt vor den Fernseher. Für morgen planen wir ein gemeinsames Mittagessen. Satt und glücklich lege ich mich ins Bett, voller Vorfreude auf den morgigen – wahrscheinlich letzten – Tag meiner Tour.
Tag 4: Stuttgart – Stuttgart
Durch Stuttgart navigieren ist noch schlimmer als die Tage zuvor. Überall Schnellstraßen, Einbahnstraßen, und generell viel zu viele Autos. Für die 17 km zum gemeinsamen Mittagessen mit Daniel, dem Freund meiner Schwester, brauche ich über eine Stunde. Zudem macht die Kleine mehr und mehr Zicken. Das Rasseln ist lauter, der Motor ist gefühlt viel wärmer, und die Gänge wollen auch nicht mehr so richtig einrasten.
Ich bin froh als ich ankomme, und beschließe – gestärkt von vorzüglicher Spaghetti Bolo – den Ölstand anschließend mal zu kontrollieren. Zu meinem Erschrecken muss ich feststellen, dass viel weniger Öl vorhanden ist, als das was ich vor 5 Tagen reingeschüttet habe. Aus Angst der Wellendichtring der Kurbelwelle könnte hinüber sein, schraube ich kurzerhand den Motor auf um nachzusehen. Alles sieht gut aus. Ich baue alles wieder zusammen, schütte neues Öl hinein, trete den Motor an, und dann ein erneuter Schreck: er nimmt kein Vollgas an, und alle 5 Sekunden kommt ein lautes Zischen aus dem Auspuff. Nach einiger Recherche und Überlegungen beschließe ich mit Daniel den Auspuff auszubrennen. Mein
Auspuff ist jetzt wieder frei, und Daniel hat eine Gratis-Enthaarung am rechten Fuß bekommen. Merke: Bremsenreiniger brennt gut und schnell, und Flip-Flops bieten keinen guten Schutz gegen Stichflammen. Nachdem ich alles wieder zusammengebaut habe, versuche ich den Motor erneut anzutreten, wieder will er nicht. Ich baue den Vergaser aus, zerlege ihn, puste ihn mit Druckluft durch und setze ihn Stück für Stück wieder zusammen. Nachdem ich alles wieder eingebaut habe, kicke ich den Motor erneut an, und siehe da: die Mopete läuft. Jedoch bemerke ich, dass ich die Motor-Masse nicht richtig befestigt habe, der entstehende Funkenschlag schweißt den Kabelschuh förmlich an das Motorgehäuse. Da es inzwischen doch etwas spät geworden ist, beschließe ich meine Reise erst am nächsten Tag fortzusetzen. Noch einmal grillen kann nicht schaden
Tag 5: Stuttgart – Volkertshausen
Um halb 8 morgens bin ich unterwegs. Abgesehen von der außerplanmäßigen Aktion gestern ist dies die kürzeste Etappe meiner Tour: ca. 170 km. Da Daniel südlich von Stuttgart wohnt bleibt mir der Weg durch die Innenstadt heute morgen erspart. Ich schwimme im Berufsverkehr mit und bin schon bald wieder auf Landstraßen.
In Tübingen schickt mich die gute Fee hin und her, jedoch verliere ich in einem Tunnel das GPS Signal und verpasse deswegen die Abbiegung. Genervt wende ich, aber auch auf der Gegenspur ergeht es mir ähnlich. Ich fahre rechts ran, gucke mir den Weg auf der Karte an und merke mir die Abbiegung. Beim Versuch anzufahren kriege ich den ersten Gang nicht mehr rein. Ich schiebe mein Moped auf den Bürgersteig, krame das – extra in Erwartung eines solchen Falls – selbst angefertigte Werkzeug zum Einstellen der Schaltung heraus, und mit ein paar kurzen Handgriffen schaltet die Kleine wieder butterweich.
Irgendwann versucht die Fee mich auf eine Schnellstraße zu leiten. Ich versuche diese zum Umfahren, und lande im Nirgendwo. Genervt schaue ich auf die Karte, und beschließe die letzten 90 km mit Google Maps und meinen Ortskenntnissen zu meistern.
Ca. 15 km vor meinem Ziel ziehen sich dunkle Wolken genau über mir zusammen. Keine zwei Minuten später fängt es an in Strömen zu regnen. Auf dem letzten Teil meiner Reise werde ich nochmals nass.
Als ich endlich auf den Hinterhof meines Heimathauses fahre, bin ich erleichtert. 885,4 km an fünf Tagen liegen hinter mir. Mein Hintern schmerzt, mein Nacken ist verspannt, ich bin durchnässt und kaputt. Meine Mum hat das ratternde Motörchen wohl schon gehört und öffnet mir sofort die Türe. Ich komme garnicht schnell genug aus meinen nassen Sachen heraus. Die heiße Dusche hab ich mir verdient.
Fazit
Es ist durchaus möglich mit einem Roller weitere Entfernungen zurückzulegen. Die Navigation ist schwierig, aber machbar. Eventuell besteht hier noch Verbesserungspotential.
Auch ökologisch gesehen lohnt es sich mit dem Roller zu fahren. Mit ca. 3 Litern Benzin pro 100 km Fahrstrecke habe ich auf meiner Tour ungefähr 26,6 Liter Benzin verbraucht. Da ein Liter Benzin zu ca. 2,33 kg CO2 verbrennt (unter Vernachlässigung von unsauberer Verbrennung, Verlusten durch Überströmen im niedrigen Drehzahlbereich sowie weiteren Einflüssen, bspw. denen des zugemischten 2-Takt Öls) habe ich auf meiner gesamten Tour ca. 62 kg CO2 erzeugt. Andersherum gesagt: mein Moped hat einen CO2-Ausstoß von ca 70 g/km, ein typischer Kleinwagen hingegen kommt auf ca. 140 g/km (Quelle: Dekra).
Go go, go Johnny go!
Schöne Zusammenfassung und Glückwunsch zum ersten Beitrag :).
Viele Grüße aus Crikvenica Kroatien,
Pascal und Ruth
bombastisch Johnny ????✌
ich feier dich ????????
Saustark 🙂
GEILOOO, ich freu mich für dich das es geklappt hat! Und ein bisschen Schrauben gehört dazu! 🙂 Vielleicht hätte ich dir besser ein Gutschein für den Motorradshop gekauft! 😀 Lass krachen digga! Ich bin schon gespannt auf weitere Blogs und freue mich drauf sie zu lesen!
Bleib Gesund und lass von dir hören! 🙂
Echt klasssse. Ich besitze seit neustem auch eine S51. Mich würde so eine Reise auch reizen. Aber so alleine mit dem kleinem Moped würe ich mich glaube nicht getrauen. Aber Hammmmer geil. Alle achtung
Hallo Manfred,
was kann denn schon schief gehen? 🙂 Ein bisschen Werkzeug, ein bisschen Bargeld und eine ADAC Mitgliedschaft, mehr brauchst du eigentlich nicht. Und was du dafür kriegst ist ein unvergessliches Abenteuer!
Hallo ja das Stimmt eigentlich. Es macht ja auch sau Spaß damit zu Fahren.